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Es war ein steiniger und langer Weg, bis in Deutschland und Europa die Demokratie erstritten wurde. Dass es Wachsamkeit und Teilnahme bedarf, um diese Errungenschaft nicht schnell wieder zu verlieren und die Demokratie massiv unterwandert wird, dieser Meinung ist unter anderem der alternative Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Wolfgang Saggau aus Bielefeld. Die SZ befragte ihn nach seinen Thesen.

SZ: Herr Prof. Dr. Saggau, Sie sprechen von einer „unterwanderten“ Demokratie, was meinen Sie damit?

Prof. Dr. Saggau: Ich spreche von einer „unterwanderten Demokratie“ dann, wenn es in unserer Politik eine gravierende Übermacht rein ökonomischer bzw. wirtschaftlicher Interesse gibt! Dies sehen wir immer wieder und jetzt erneut, in den gesellschaftlichen Bereichen: Finanzen (insbes. Banken/Versicherungen), in der Energie-, Agrar- und Lebensmittelindustrie (zuletzt: Glyphosat-Skandal!) wie auch im Pharma- und Gesundheitsbereich.

Diese Art von Dominanz ist nicht zu verwechseln mit dem „klassischen Lobbyismus“; wenn gesellschaftliche Akteure (Gewerkschaften/Kirchen/Parteien, auch Arbeitgeber) versuchen Einfluss zu nehmen auf politische Entscheidungsträger. Dies ist und bleibt wesentlicher Bestandteil unserer Demokratie. Wenn es aber eine klare und eindeutige Dominanz nur wirtschaftlicher Interesses gibt, dann ist dies ein erhebliches Defizit gesellschaftlicher Pluralität – die Demokratie wird eingeschränkt bzw. unterwandert. Hierzu ein Beispiel: allein in Brüssel arbeiten 15.000 – 20.000 Lobbyisten von Wirtschaftsverbänden jeden Tag nur daran, direkten Einfluss auf die EU-Gesetzgebung und auch auf die aktuelle europäische Politik zu nehmen.

Die steht in keinem Verhältnis zu den Möglichkeiten anderer Gruppen/Verbände (Arbeitnehmervertretungen/Gewerkschaften, Verbraucherschützern, Nichtregierungsorganisationen/NGOs, etc.) – mit weit aus geringerem Einfluss. (Vergl. Lobby-Report 2017/LobbyControl)

Diese Übermacht bezeichne ich als einen gesellschaftlichen Skandal! Die Politik in Berlin und Brüssel müsste schnell handeln und dieser Dominanz Grenzen setzen – bisher leider ohne nachhaltigen Erfolg.

SZ: Wie könnte eine gerechte Steuerpolitik aussehen?

Prof. Dr. Saggau: Wir brauchen dringend eine sofortige, grundlegende insbesondere solidarische Reform der Finanz- und Steuerpolitik. Wir haben als „Alternative Wirtschaftswissenschaftler“ hierauf schon öfters hingewiesen (zuletzt: „Memorandum 2017“).

Dies betrifft insbesondere:

  • Abschaffung der Privilegien für große Vermögen in der Erbschaftssteuer
  • Wiedereinführung der Vermögenssteuer (Grenzen: 500.000 Euro für Singles und 1.000.000 euro für Ehepaare) mit „nur“ einem Prozent
  • einmalige Vermögensabgabe von 2 Prozent für die nächsten zehn Jahre bei großen Privatvermögen/Betriebsvermögen
  • Anhebung der Körperschaftssteuer von 15 auf 30 Prozent für Konzerne
  • zügige Einführung einer allgemeinen Finanztransaktionssteuer (Spekulationsbezüge müssen besteuert werden!)

Wichtig in diesem Zusammenhang: Schluss mit Möglichkeiten der Steuerhinterziehung (Steueroasen/Offshore-Geschäfte/Schattenbanken/ Briefkastenfirmen/etc.). Die „Leaks“ der „Whistleblower“ (Luxemburg/Panama/zuletzt die „Paradise Papers“) haben gezeigt: Diese „dunklen Geschäfte“ haben unvorstellbare Ausmaße angenommen. Allein im BRD-Haushalt fehlen deshalb 40 bis 50 Milliarden Euro, in der EU (allein in den 19 Euro-Ländern) sind es eine Billion Euro (1.000 Milliarden Euro). Dies ist ein gesellschaftlicher Skandal. Das Geld fehlt für Infrastrukturmaßnahmen, für Bildung, Kultur, Gesundheit, für soziale Sicherheit und für nachhaltige Arbeitsplätze. Die Politik muss sofort das Netzwerk der Steuerhinterzieher transparent machen, Verantwortliche benennen, diese zur Verantwortung ziehen und vor Gericht bringen! Aber – leider – auch hier: ein Netzwerk von Lobbyisten in Politik und Wirtschaft verhindern dies bisher – auch ein Hinweis auf die „unterwanderte Demokratie“.

SZ: Was können wir als Bürger dafür tun, dass der Staatshaushalt allen zu Gute kommt?

Prof. Dr. Saggau: Meinungsumfragen belegen: viele Bürger/innen und Verbraucher/innen fühlen sich hinsichtlich der hier genannten „Demokratie-Defizite“ gerade hinsichtlich einer gerechteren Finanzpolitik nicht mehr oder nicht genügend durch die Politik in Berlin und Brüssel vertreten. Ich meine: zu Recht.

Aber meine Erfahrung aus zahlreichen Veranstaltungen zeigen auch: Die Bereitschaft, etwas sofort und nachhaltig zu verändern ist vorhanden – gerade auch und insbesondere bei Älteren Nutzen wir die Chance: jeder von uns kann hier aktiv werden: in Gewerkschaften (viele Seniorengruppen), in (Senioren-)Verbänden vor Ort, in Nichtregierungsorganisationen (z.B. FinanceWatch“/„Fair Finance Network Frankfurt, etc.).