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Für die einen ist es der Horror, für andere der letzte Ausweg. Manche sind empört über so viel Gefühllosigkeit, andere sagen, warum nicht? Der Umzug eines alten Menschen nach Polen oder in die Slowakei, um dort in seinen letzten Jahren in einem Pflegeheim betreut zu werden, wird von 85 Prozent der Deutschen kategorisch abgelehnt. Das geht aus einer Umfrage hervor, deren Ergebnisse die TNS-Emnid im März bekanntgegeben hat. In Auftrag gegeben hatte die Studie die Konpress-Medien eG, in der 37 Titel der evangelischen und katholischen Publizistik zusammengeschlossen sind.

Betrachtet man dagegen die Ergebnisse einer Suchanfrage im Internet, so entsteht der Eindruck, als sei die Pflege im Ausland – vor allem im Osten Europas – die kommende Alternative zu Pflegenotstand und Unbezahlbarkeit der Pflege in Deutschland. „Seniorendomizile“ in Ungarn, Tschechien und der Slowakei werden da angeboten, Pflegeheime in Polen „für jedes Budget“. Der Deutschen zweitliebstes Urlaubsland Spanien findet sich ebenso wie Thailand – wahlweise als Altersruhesitz oder Demenz-Zentrum.

In Osteuropa wird „deutsch gepflegt“

Zahlreiche Medien haben in jüngster Zeit etwa über Altenheime in Polen berichtet. „Man pflegt deutsch“ titelte etwa die Frankfurter Allgemeine Zeitung ihren Bericht über eine solche Einrichtung im polnischen Zabelkow. Wenn man den Berichten über dieses Haus, wie sie auch im Fernsehen zu sehen waren, glauben kann, so sprechen die Pflegekräfte dort in der Tat deutsch mit den ihnen anvertrauten Menschen. Diese sind etwa die demente 91-jährige Mutter eines Rentners, der im Ruhestand die Kosten für die Pflege seiner Mutter in einem deutschen Pflegeheim nicht mehr aufbringen kann. In Polen reicht die Rente der Mutter für eine anständige Pflege. Oder auch der ehemalige Postler, der als Alleinstehender nach einer bezahlbaren Alternative zu einem Altenpflegeheim in seiner Heimat suchte und fündig wurde.

Was bewegt Menschen, ihrer alten Mutter, dem dementen Vater einen Umzug in ein ihnen fremdes Land zuzumuten? „Schämen die sich nicht?“ fragt wohl mancher. Denn laut der zitierten Umfrage würde sich jeder dritte Deutsche schämen, wenn er einen solchen Umzug zulassen bzw. anregen würde. Leichtfertig entscheidet sich wohl kaum jemand für diesen Weg. Das meint auch Konpress-Geschäftsführer Martin Sterr bei der Vorstellung der Umfrageergebnisse. Vielmehr zeigten die Zahlen, dass die meisten Deutschen durchaus sensibel mit dem Thema Pflege umgingen. Deutlich werde aber auch, dass es erhebliche Vorbehalte gegen die Betreuung in einem Pflegeheim überhaupt gebe. Denn die Umfrage ergab auch, dass immerhin rund ein Drittel der Befragten die Pflege im Heim überhaupt ablehnten.

Pflegenotstand als Ursache?

Es sieht so aus, als drehe sich die Migrationsbewegung um: In den vergangenen 20 Jahren kamen immer mehr Frauen aus Osteuropa – zunächst oft illegal – nach Deutschland, um hier alte Menschen zu pflegen. Heute gibt es die Gegenbewegung. Alte Menschen ziehen nach Osteuropa, um dort gepflegt zu werden. Die Not war und ist auf beiden Seiten groß. Etliche überforderte Angehörige ließen sich auf die Beschäftigung einer illegalen Pflegerin ein, weil sie keinen anderen bezahlbaren Ausweg sahen. Und für unzählige Osteuropäerinnen war die  Arbeit im Ausland die einzige Möglichkeit, ihre Familie zu ernähren – auch um den Preis, dass die eigenen Kinder oder auch eigene alte Angehörige zurückblieben, oft genug unter prekären Umständen.

Dass überhaupt Pflegeheime für Deutsche im Ausland entstehen, hat einen realen und für viele beängstigend erscheinenden Hintergrund: den Pflegenotstand. Zum einen geraten die pflegenden Angehörigen, von denen immer noch der größte Teil der Pflegebedürftigen zu Hause betreut wird, an ihre körperlichen und psychischen Grenzen. Wenn dann die stationäre Pflege als einiger Ausweg erscheint, sind da die Kosten, die von einer durchschnittlichen Rente oft nicht zu bezahlen sind. Und nicht jeder Nachkomme hat selbst ein ausreichendes Einkommen, um die Differenz zu bezahlen.

Schon kursieren auch durchaus korrekte und ernstzunehmende Ratgeber im Internet, die Informationen zu diesem Thema bieten. Checklisten bei der Auswahl des Hauses, Tipps, was die Pflegekasse zahlt und ob sich eine private Pflegezusatzversicherung lohnt, finden sich da. Doch fragt eigentlich jemand, ob die alten Menschen ihre Heimat verlassen wollen; ob ihnen „Hauptsache bezahlbare Pflege“ genügt; ob sie ihre Angehörigen wirklich nur alle paar Wochen oder Monate sehen wollen?

Lieselotte Wendl