Aktuelle Ausgabe zum Lesen  eye   zum Hören  ear
Schriftgröße  

Interview mit Carola Schweizer, 2. Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft Mobile Rehabilitation und wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Institut für Sozialwirtschaft in Saarbrücken.

Senioren Zeitschrift: Warum ist Mobile Rehabilitation für ältere Patienten sinnvoll?

Schweizer: Mobile Rehabilitation ist eine weitere Form der Ambulanten Reha und hat den großen Vorteil, dass sie zeitlich flexibel eingesetzt werden und sich methodisch besser auf die Belastbarkeit der jeweiligen Person einstellen kann. Sie wird weniger für eine bestimmte Erkrankung ausgesprochen als vielmehr für bestimmte Problemkonstellationen, die eine Reha in der eigenen Wohnung effektiver machen können. Die Fachpersonen, etwa Physio- und Ergotherapeuten oder Logopäden können die Probleme, die die Betroffenen bei der Bewältigung des Alltags haben, dort bearbeiten und lösen, wo sie auftreten. Das Üben unter den Gegebenheiten der eigenen Wohnung führt zu  mehr Sicherheit,  zum Beispiel beim Übergang vom Bett in den Rollstuhl oder vom Rollator auf die Toilette oder beim Treppensteigen. Die ältere Patientin oder der ältere Patient  kann auch mit Unterstützung der Therapeuten wieder lernen, Alltagsverrichtungen zu übernehmen, zum Beispiel das Ein- und Ausräumen der Spülmaschine trotz einer Lähmungserscheinung infolge eines Schlaganfalls. Außerdem ist es möglich, sie zu beraten, wie die Wohnung ihrer Beeinträchtigung entsprechend umgebaut, oder eine entsprechende Beratung vermittelt werden kann.

SZ:  Werden auch Angehörige mit einbezogen?

Schweizer: Angehörige spielen in der mobilen Rehabilitation eine wichtigere Rolle als in anderen Rehabilitationsformen. Deshalb müssen sie bei der Planung der Rehabilitation mit einbezogen werden. Das kann besonders hilfreich sein bei Patienten, die sich selbst nicht mehr oder nicht gut artikulieren können oder in ihrer Seh- und Hörfunktion geschädigt sind. Auch Patienten mit einer demenziellen Erkrankung profitieren sehr von der Mobilen Reha, fällt es ihnen doch besonders schwer, die  in einer stationären Reha gelernten Übungen auf die eigene Umgebung zu übertragen.

SZ: Gibt es die Mobile Reha also nur für Patienten, die noch in der eigenen Wohnung leben?

Schweizer: Auch Patienten, die in einem Pflegeheim leben oder zeitweise in einer Kurzzeitpflege sind, haben einen Rechtsanspruch auf alle Formen der Rehabilitation. Die mobile Rehabilitation ist aber gerade für diesen Personenkreis besonders geeignet, weil sie auf deren vielfältigen Hilfe- und Pflegebedarf  und ihrer schwankenden Belastbarkeit flexibel reagieren kann.

Das Problem ist, dass bei Pflegeheimbewohner oft kein Antrag auf eine Rehabilitation gestellt wird, obwohl es in vielen Fällen notwendig wäre. Ärzten und Pflegekräften fehlt es immer noch an Kenntnissen über die Möglichkeiten einer Rehabilitation von pflegebedürftigen Menschen. Die pflegerische und medizinische Ausbildung muss hier deutlich nachrüsten, damit Pflegeheimbewohner nicht unterversorgt bleiben.

Viel zu oft wird auch vergessen, dass die Reha nicht nur der Wiederherstellung von bestimmten Funktionen dient, sondern auch der Verbesserung der sozialen Teilhabe. Das bedeutet im Pflegeheim etwa, dass die Patienten nach Möglichkeit das Bett verlassen oder sich selbstständig mit dem Rollstuhl bewegen können oder ihnen ermöglicht wird, an Feiern im Familienkreis teilzunehmen. Vielleicht macht es mehr Arbeit, aber es bringt auch mehr Lebensqualität ins Heim.

SZ: Warum gibt es erst 14 Standorte für Mobile Reha in Deutschland, obwohl sie seit 2007 eine Regelleistung der Kassen ist?

Schweizer: De facto, also in den Rahmenvereinbarungen mit den Kassen, ist die Mobile Reha  auf die Geriatrie beschränkt, obwohl das Gesetz keine Einschränkung auf eine bestimmte Indikation vorsieht. Die Praxis hat jedoch gezeigt, dass die Indikationen in der Rahmenempfehlung zu eng gefasst sind und dringend überarbeitet werden müssen. Wenn man die in der UN-Behindertenrechtskonvention geforderten Rechte ernst nehmen will, dann brauchen wir  für weitere Patientengruppen, zum Beispiel für Menschen mit Multipler Sklerose, Amyotropher Lateralsklerose (ALS) oder anderen schweren neurologischen Erkrankungen, bundesweit mobile Rehabilitationsdienste. Zugleich würde ein fachübergreifender Ansatz  es  auch interessierten Träger unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten erleichtern, eine  Mobile Rehabilitation anzubieten.

SZ: Können Sie einen Blick in die Zukunft werfen, was die Mobile Reha betrifft?

Schweizer: Die demografische Entwicklung zwingt uns dazu, darüber nachzudenken, welche Versorgungsangebote nötig und gewünscht sein werden. Dabei wird die Mobile Reha sicher mehr an Bedeutung gewinnen. Ihr flächendeckender Ausbau ist daher dringend notwendig, wenn wir nicht riskieren wollen, dass gerade unter den geriatrischen Patienten, aber auch unter jüngeren pflegebedürftigen Menschen bestimmte Gruppen unterversorgt bleiben.

Das Interview führte Lieselotte Wendl

Mehr Infos unter:

Bundesarbeitsgemeinschaft Mobile Rehabilitation (BAG) www.bag-more.de, Telefon  06 71 6 05-38 72