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Neue Konzepte sollen einengende Strukturen öffnen

Wer in ein Alten- oder Pflegeheim umzieht, der stellt sich viele Fragen. Bekomme ich ein Einzelzimmer, kann ich meine Möbel mitnehmen, darf ich mein Zimmer selbst gestalten? Weit wichtiger als diese Fragen nach dem Äußeren sind aber für die meisten Menschen die Unsicherheiten über die Gestaltung des täglichen Lebens. Dass man sich in ungewünschte Abhängigkeiten begibt, nicht mehr Herr seiner Zeit ist, essen muss, was einem vorgesetzt wird und das auch noch zu Zeiten, die einem nicht passen – das sind verbreitete Befürchtungen. Nicht jeder zieht freiwillig in eine stationäre Einrichtung um. Gedrängt von den Angehörigen oder den äußeren Umständen entschließt sich mancher nur schweren Herzens dazu und entdeckt dann vielleicht, dass die Ängste nicht nötig waren.

Die vergangenen Jahre haben in der Landschaft der Pflegeeinrichtungen große Veränderungen gebracht. Längst hat man auf Kritik reagiert, sich auf die Wünsche einer Generation eingestellt, die jetzt langsam alt wird und es gewohnt ist, sich zur Wehr zu setzen, wenn ihr etwas nicht passt: die 68er.

Herbert Wagner (Name von der Redaktion geändert) zum Beispiel ist freiwillig in ein Pflegeheim gezogen. „Mehr oder weniger“, schränkt der 69-Jährige ein. Denn eine fortschreitende Parkinsonerkrankung ließ es nicht mehr zu, als alleinstehender Mann seinen Haushalt noch zu bewältigen. Und so lebt er nun schon mehr als ein halbes Jahr in Usingen, im Kortheuer-Haus des Evangelischen Vereins für Innere Mission. Er hat seinen Umzug sorgfältig geplant. Das Haus sollte nicht allzu weit von seinem bisherigen Wohnort Bad Homburg entfernt liegen. Und – das war ihm besonders wichtig – es sollte ihn in seinem Lebensstil nicht einschränken. In mehreren Pflegeheimen hat er zur Probe gewohnt, bis er sich entschieden hat. Nicht alles sei immer optimal, sagt der 69-Jährige. Aber im großen Ganzen ist er zufrieden, etwa damit, dass er nahezu wöchentlich alte Freunde in Bad Homburg besuchen kann, ohne dass er gefragt wird, wohn er mit dem Bus fährt. „Aber abmelden tue ich mich schon, das gebietet die Höflichkeit“, schmunzelt er. Und wenn er seinen „nächtlichen Hunger“ bekommt, dann findet er im Kühlschrank immer ein Stück Kuchen vor.

Sich nachts am Kühlschrank bedienen ist auch im Heinrich-Schleich-Haus des Frankfurter Verbandes für Alten und Behindertenhilfe in Fechenheim kein Problem. Schließlich leben die Bewohner dort jeweils zu zehnt in einer gemeinsamen Wohnung mit eigenem Zimmer, gemeinsamem Wohnbereich und gemeinsamer Küche. Mit dem Umzug in das neugebaute Domizil in Fechenheim (das alte musste wegen Brandschutzproblemen stillgelegt werden) hielt auch das neue Wohngruppenkonzept Einzug. Eigentlich ist alles so, wie in einer Familie: Hier wird die Wäsche selbst gemacht, hier wird jeden Tag frisch gekocht und zusammen gegessen. Eine Hauswirtschafterin kümmert sich um das Essen, unterstützt von den Bewohnern. Noch laufe nicht immer alles rund, sagt Pflegedienstleiter Guido Zeus: „Nicht jeder hat Lust, beim Gemüseputzen zu helfen“. Das Konzept, dass sich die jeweiligen Wohngruppen weitgehend selbst organisieren müssen, muss sich erst durchsetzen. Viele der Bewohner, die nach dem Umbau hier eingezogen sind, waren eine klassische Pflegeheimsituation gewöhnt und haben das genossen. „Jeder tickt eben anders“, sagt Zeus.

Dennoch hält er das Konzept für richtig und zukunftsweisend. Die Bewohner können ins Stadtteilrestaurant zum Essen gehen oder sich auch in einer anderen Wohngruppe mit an den Tisch setzen. Sie können Haustiere halten, wenn sie selbst oder Angehörige sich darum kümmern, und sie können ausgehen, wann und wohin sie wollen. „Natürlich muss sich keiner abmelden, aber wir freuen uns, wenn sie es trotzdem tun“, sagt Zeus.

Pflegekonzepte sind wichtig bei der Entscheidung, in welche stationäre Einrichtung man sich begeben will. Aber letztlich ist es auch eine Geldfrage, welches heim man sich leisten kann und will. Denn die Pflegeversicherung zahl immer nur einen Teil der Kosten. Michael Graber-Dünow, Leiter eines Frankfurter Pflegeheimes, sieht dies kritisch. Einerseits fahren Pflegeheime Gewinne in Millionenhöhe ein, andererseits werden grundlegende Bedürfnisse von Bewohnern nicht erfüllt, schreibt er in seinem neuen Buch „Pflegeheime am Pranger“. Er es für eine „falsche politische Weichenstellung“, das Thema Pflege dem freien Markt zu überlassen. Stattdessen fordert der Praktiker, Pflege als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu definieren, die der verantwortungsvollen Sozialplanung bedarf. Eine Gewinnerzielung in Pflegeheimen müsse gesetzlich untersagt, das erwirtschaftete Geld zurück in die Pflege fließen. Da die Pflegeversicherung im stationären Bereich gescheitert sei, müsse sie abgeschafft und durch ein steuerfinanziertes System ersetzt werden, wie dies in anderen Industrieländern bereits der Fall sei.

Lieselotte Wendl