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Vom schwierigen Prozess, in der Altenpflege zwischen Selbstbestimmung und Fürsorge zu agieren

Es klopft an der Tür, gleich darauf steht die Pflegekraft schon im Zimmer, das „Herein“ wird im Altenheim oft nicht abgewartet. Nicht selten ist die Bewohnerin gerade auf der Toilette, schläft oder telefoniert. „Privatheit in Altenpflegeeinrichtungen“ ist schwer zu haben, seit 2008 fördert das Frankfurter Programm Würde im Alter das gleichnamige Projekt. Der Erziehungswissenschaftler Manfred Müller und sein Kollege Matthias Günkel von der Werkgemeinschaft Pädagogik e.V. bieten Arbeitsgruppen in Heimen und Fortbildungen für Mitarbeiter an, wohl wissend, dass die Lebensgewohnheiten der Bewohner mit den Abläufen in der Pflege häufig kollidieren. „Aber es gibt Spielräume, die es zu nutzen gilt.“ Dies zu vermitteln, ist Müller besonders wichtig.

Wenn eine hochbetagte Dame morgens lange schläft, verpasst sie das gemeinsame Frühstück, kommt zu Angeboten wie Gedächtnistraining oder Sitz-Tanz häufig zu spät. Die Strukturen in einem Heim lassen nur eingeschränkt die Möglichkeit zu, zu spät zu sein, sagt Müller. Noch immer gehöre es nicht zum Heimalltag, etwa dann zu frühstücken, wenn andere zu Mittag essen. Er erinnert sich, wie ein Mann in einer Wohngruppe beim Gedächtnistraining aufstehen wollte: „Die Betreuerin sagte: ‘Wo wollen Sie hin? Setzen Sie sich‘. 20 Minuten später stellte sich heraus, dass der Mann zur Toilette gemusst hätte…“ Wenn es um Selbstbestimmung und Fürsorge im Heim geht, sagt Müller, muss jeweils ausgehandelt werden, was im Moment wichtiger ist, etwa jemanden zur Toilette zu begleiten oder das Gedächtnistraining weiter zu führen.

Bei der Frage der Selbstbestimmung geht es auch um Freiheitseinschränkungen. Der Medizinische Dienst der Krankenkassen hält im 3. Bericht zur Pflegequalität fest, bei rund 20 Prozent der per Zufall überprüften alten Menschen wurden freiheitseinschränkende Maßnahmen wie Bettgitter, abgeschlossene Zimmertüren oder Fixiergurte angewendet. Bei 88,8 Prozent lagen dafür Einwilligungen und Genehmigungen vor, bei 11,2 Prozent hingegen nicht.

Um Respekt vor der Autonomie geht es Bernd Trost, Leiter des Franziska Schervier Seniorenzentrums und des Pfarrer Münzenberger Hauses: „Es kann nicht sein, dass ein alter Mensch, der in eine stationäre Einrichtung einzieht, von uns hospitalisiert wird. Wir haben uns nach seinem Tagesrhythmus zu richten und nicht umgekehrt.“ Trost berichtet von einer Bewohnerin mit Demenz, die ihr Leben lang auf der Couch bei laufendem Fernseher schlief. „Jetzt tigert sie nachts herum, schaut nach, ob die anderen wach sind.“ Der laute Fernseher stört andere. Nach einer Teamsitzung rollte Trost das Pflegebett aus dem Zimmer, eine Couch kam hinein und ein Fernseher, als Test, ob die Dame so besser schläft. Auch in Fragen der Körperhygiene versuchen die Pflegekräfte „behutsam Wege und Mittel zu finden, Zwangsduschen gab es in den 60er Jahren in der Psychiatrie“.

„Respekt vor der Autonomie der Bewohner im Altenpflegeheim“ heißt ein Papier des Ethikkomitees der beiden genannten Heime. Darin ist von Unsicherheiten und Abwägungsprozessen die Rede, weil der Wille der Betroffenen beispielsweise nicht eindeutig ist oder der Fürsorgegedanke und die Achtung vor der Autonomie unvereinbar zu sein scheinen. „Der gemeinsame Wille, die Selbstbestimmtheit des Bewohners zu fördern und zuzulassen, prägt die Haltung der Einrichtung“ heißt es unmissverständlich. Will beispielsweise ein Bewohner mit Demenz das Heim verlassen, geht jemand mit. Das ist alles machbar, solange in einer größeren Einrichtung nur eine gewisse Anzahl von Bewohnern lebt, die mehr Betreuung brauchen. „Schon heute“, sagt Trost, „leisten meine Mitarbeiter mehr als ich bezahle“. Doch auch wenn Bewohner immer schwieriger werden, „darf es nicht passieren, die Menschen dem System anzupassen“.
Susanne Schmidt-Lüer